AG Bad Freienwalde (Oder): Paidwings AG nach unzulässiger Zurückweisung des Widerrufs zur Erstattung von Mitgliedsbeitrag verurteilt (seitensprungtreff24.de)

Verbrauchern steht bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zu. Dies gilt auch für Verträge über die Erbringung von digitalen Dienstleistungen. Die Paidwings AG wies den Widerruf des Mandanten, der eine dreimonatige Mitgliedschaft für seitensprungtreff24.de abgeschlossen hatte, zurück. Das Urteil des AG Bad Freienwalde (Oder) bestätigt das Bestehen des Widerrufsrechts und die Paidwings AG wurde zur Erstattung des Mitgliedsbeitrags verurteilt.

Ein Beitrag zum Erlöschen des Widerrufsrechts bei digitalen Dienstleistungen und digitalen Inhalten am Beispiel der Paidwings AG.

Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder), Urteil vom 19.03.2023, 20 C 5/24Hier downloaden 🔻

1. Portale der Paidwings AG

Die Paidwings AG ist betreibt zahlreiche Dating-Portale:1

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Paidwings Portale – Stand: 03.01.2024, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder fortwährende Richtigkeit

2. Anmeldung auf seitensprungtreff24.de

Der Mandant hatte eine dreimonatige Premium-Mitgliedschaft zum Preis von 89,70 Euro für das Portal seitensprungtreff24.de erworben. Seinen innerhalb der Widerrufsfrist erklärten Widerruf wies die Paidwings AG mit folgender Begründung zurück:

„Wir haben Deine Nachricht bezüglich des Widerrufes erhalten. Leider müssen wir Dir mitteilen, dass wir Deiner Anfrage nicht nachkommen können, da diese eine digitale Dienstleistung im Sinne des § 356 Absatz 5 BGB ist, Du diese schon in Anspruch genommen hast und daher kein Widerruf möglich ist. Folgendes hast Du mit „Ja, sofort alle Premium Vorteile freischalten“ bestätigt:

„Ich verlange und bin ausdrücklich damit einverstanden, dass Sie bereits vor dem Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung, die Gegenstand des zu schließenden Vertrags ist, beginnen. Ferner ist mir bekannt, dass ich bereits mit vollständiger Vertragserfüllung durch Sie das mir gesetzlich zustehende Widerrufsrecht verliere.“Diese Information wurde von Dir während der Anmeldung als Premium unmittelbar angezeigt und wurde von Dir bestätigt.“

3. Klage beim Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder)

Das Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder) verurteilte die Paidwings AG durch das am 19.03.2024 im schriftlichen Verfahren ergangene Urteil dazu, dem Mandanten den Mitgliedsbeitrag zzgl. Zinsen zurückzuzahlen. In den Entscheidungsgründen heisst es auszugsweise:

„Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Der mit dem Klageantrag geltend gemacht Anspruch steht dem Kläger gemäß § 355 Abs. 3 Satz 1, 357 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zu. Gemäß § 312g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.

Der Kläger hat die am 09.12.2023 abgeschlossene Premium- Mitgliedschaft der Beklagten gegenüber mit E-Mail vom 20.12.2023, und damit innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB, widerrufen. Gemäß § 357 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen spätestens nach 14 Tagen zurück-zugewähren, mithin die vom Kläger an die Beklagte am 12.12.2023 gezahlten 89,70 Euro. Die Beklagte hat den Betrag nicht zurückerstattet. Einwände gegen die Klageforderung hat die Beklagte nicht erhoben, sodass die Forderung vollumfänglich begründet war.“

AG Bad Freienwalde (Oder), Urteil vom 19.03.2024, 20 C 5/24

3. Schweizer Unternehmen, Schweizer Recht?

Für die Klage war zunächst zu klären, ob das deutsche Recht überhaupt Anwendung findet. Denn immerhin sitzt die Paidwings AG in der Schweiz. Während Verbrauchern nach deutschen Recht bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zusteht, sieht das Schweizer Recht kein Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge vor.2 Auf den ersten Blick scheint dies ungünstig für deutsche Verbraucher zu sein. Im Fall des Mandanten, der eine kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft für das Portal seitensprungtreff24.de erworben hatte, sah § 12 der Nutzungsbedingungen für das Portal zudem die grundsätzliche Geltung des Rechts der Schweizerischen Eidgenossenschaft vor:

Screenshot von § 12 der Nutzungsbedingungen des Portals seitensprungtreff24.de, der die Geltung Schweizer Rechts bestimmt.
Screenshot von § 12 der Nutzungsbedingungen des Portals seitensprungtreff24.de der Paidwings AG, der die Geltung Schweizer Rechts bestimmt. Stand: 03.01.2024

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Denn gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO darf eine (nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Rom I-VO grundsätzlich zulässige) Rechtswahl nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Abs. 1 anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Damit wird das gewählte Recht verdrängt, soweit es nicht günstiger ist als die zwingenden Vorschriften des Aufenthaltsrechts (Günstigkeitsprinzip).

Da die Anwendung schweizerischen materiellen Rechts zur Folge hätte, dass deutsche Verbraucher des Widerrufsrechts für Fernabsatzverträge verlustig würden, entfaltet die in Ziffer 12 der Nutzungsbedingungen enthaltene Regelung zur Geltung materiellen schweizerischen Rechts diesen gegenüber keine Wirkung. Dies hat die Paidwings AG auch zum Ausdruck gebracht, indem sie in der Gerichtsstandsbestimmung den Hinweis erteilt, dass für den Verbraucher günstigere Bestimmungen an seinem Wohnsitz unberührt bleiben. Gut für Verbraucher: es gilt das deutsche Recht.

4. Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen

Gemäß §§ 355, 312c, 312g Abs. 1 BGB steht Verbrauchern bei Fernsabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zu. Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer und der Verbraucher für die Vertragsver-handlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, § 312c Abs. 1 BGB. Somit haben Verbraucher, die sich auf einem auf Deutschland ausgerichteten Internetportal der Paidwings AG anmelden und dort eine kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft erwerben, das Recht, ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung innerhalb von 14 Tagen seit Vertragsschluss zu widerrufen, § 312g Abs. 1 BGB.

Die Vorschriften über das Widerrufsrecht sehen allerdings zwei bedeutsame Ausnahmefälle vor, in denen das Widerrufsrecht des Verbrauchers vorzeitig erlöschen kann. Dabei muss zwischen digitalen Dienstleistungen und digitalen Inhalten unterschieden werden.

a) Widerrufsrecht bei entgeltpflichtigen (digitalen) Dienstleistungen, § 356 Abs. 4 BGB

Dabei handelt es sich zum einen um § 356 Abs. 4 Nr. 2 BGB, der für einen Vertrag über die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen gilt. Dort ist bestimmt, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers mit der vollständigen Erbringung der Dienstleistung erlischt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers vor Beginn der Leistungserbringung, dass der Unternehmer mit der Erbringung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt
  • Bestätigung der Kenntnis des Verbrauchers, dass sein Widerrufsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer erlischt

(Die Voraussetzung des § 356 Abs. 4 Nr. 2 b) BGB gilt nur für „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene“ Verträge, was hier nicht einschlägig ist und deshalb nicht behandelt wird.)

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Norm ist das Vorliegen einer „Dienstleistung“. Eine solche kann auch digital erfolgen. § 327 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt, was digitale Dienstleistungen sind:

Digitale Dienstleistungen sind Dienstleistungen, die dem Verbraucher

1. die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen, oder
2. die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen.

§ 327 Abs. 2 Satz 2 BGB

Das hört sich doch schon einmal sehr nach den Leistungen eines Dating-Portals an. Denn was liegt näher, als dass die Nutzer des Portals über hochgeladene Daten (z. B. Bilder und Texte) dort miteinander interagieren.

Was sich kompliziert anhört, wird verständlich, wenn man sich das wesentliche Merkmal, das digitalen Dienstleistungen ihr Gepräge gibt, vor Augen führt. Nach dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie (EU) 2019/2161 (sogenannte „Omnibus“-Richtlinie) besteht dieses in der fortlaufenden Beteiligung des Dienstanbieters an der Leistungserbringung.3 Dies ist z. B. beim Filehosting, bei einer Online-Textverarbeitung oder bei Spielen, die in der Cloud angeboten werden, bei der Nutzung von Cloud-Speicher, Webmail, soziale Medien und Cloud-Anwendungen der Fall. Hier erbringt der Unternehmer keine einmalige Leistung, sondern ist fortwährend für die gesamte Dauer des Vertrages verpflichtet, einen störungsfreien Zugriff auf den Dienst zu gewährleisten. Auch das passt zur Leistung der Paidwings AG, denn deren Leistung besteht darin, den Zugang zu und die Nutzung des Portals während der gesamten Vertragslaufzeit zu gewährleisten. Mithin liegt eine fortlaufende Beteiligung der Paidwings AG vor.

Im Fall digitaler Dienstleistungen soll der Verbraucher sein Widerrufsrecht nur verlieren können, wenn der Unternehmer seine Leistung vollständig erbracht hat, was regelmäßig erst mit Beendigung des Vertrages der Fall ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Verbraucher die Dienstleistung innerhalb der Widerrufsfrist ausprobieren und, falls diese ihm nicht zusagt, einen Widerruf erklären kann. Von dieser Vorschrift darf gemäß § 361 Abs. 2 Satz 1 BGB auch nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden.

b) Widerrufsrecht bei entgeltpflichtigen digitalen Inhalten, § 356 Abs. 5 Nr. 2 BGB

Eine weitere bedeutsame Ausnahme vom Widerrufsrecht sieht § 356 Abs. 5 Nr. 2 BGB vor. Nach dieser Vorschrift erlischt das Widerrufsrecht bei Verträgen über die Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten, für die der Verbraucher einen Preis zu zahlen hat, unter folgenden Voraussetzungen:

  • der Unternehmer hat mit der Vertragserfüllung begonnen
  • der Verbraucher hat ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Vertragserfüllung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt
  • der Verbraucher hat seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass durch seine Zustimmung [nach Buchstabe b] mit Beginn der Vertragserfüllung sein Widerrufsrecht erlischt, und
  • der Unternehmer hat dem Verbraucher eine Bestätigung gemäß § 312f BGB zur Verfügung gestellt

Voraussetzung für das Erlöschen des Widerrufsrecht ist hier also das Vorliegen eines Vertrages über die Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlicher digitaler Inhalte.

Was digitale Inhalte i. S. d. Norm bedeuten, definiert § 327 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach handelt es sich bei digitalten Inhalten um Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Wichtig ist es hierbei zu berücksichtigen, dass die Vorschrift auf EU-Gemeinschaftsrecht beruht und der europäische Gesetzgeber dabei ganz bestimmte Sachverhalte im Blick hatte, nämlich solche, in denen Daten im Wesentlichen im Rahmen einer einmalige Bereitstellung an den Verbraucher erbracht werden.4 Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn dem Verbraucher Film-, Musik- oder Videodateien zum einmaligen Download bereitgestellt werden. Hier wäre es für den Unternehmer nach erfolgtem Download der Datei unmöglich dafür zu sorgen, dass der Verbraucher die Datei nach seinem Widerruf nicht mehr nutzt, so dass Unternehmer Gefahr läuft, den Kaufpreis erstatten zu müssen, obwohl der Verbraucher den digitalen Inhalt weiterhin in seinem Besitz hat. Um dieses Risiko auszuschließen, soll dem Verbraucher kein Widerrufsrecht mehr zustehen, sobald der Unternehmer mit seiner Leistung begonnen hat, z. B. indem er dem Verbraucher einen Download-Link zur Verfügung gestellt hat und den Verbraucher ausdrücklich zugestimmt hat, dass er mit Beginn der Leistungserbringung sein Widerrufsrecht verliert. Das ist nur fair.

5. Zurückweisung des Widerrufs durch die Paidwings AG

Die Paidwings AG meinte nun, den Widerruf des Mandanten unter Berufung auf § 356 Abs. 5 BGB zurückweisen zu dürfen:

Leider müssen wir Dir mitteilen, dass wir Deiner Anfrage nicht nachkommen können, da diese eine digitale Dienstleistung im Sinne des § 356 Absatz 5 BGB ist, Du diese schon in Anspruch genommen hast und daher kein Widerruf möglich ist.

Diese Meinung ist so falsch, wie sie falscher nicht sein kann 🙄:

Zum einen betrifft § 356 Abs. 5 BGB nicht digitale Dienstleistungen, sondern digitale Inhalte. Gesetz denn Fall aber, dass es sich bei der Leistung der Paidwings AG um eine digitale Dienstleistung handelt, wäre § 356 Abs. 4 (und nicht Abs. 5!) BGB einschlägig. Dann aber wäre das Widerrufsrecht nur unter der Voraussetzung erloschen, dass die Paidwings AG ihre Dienstleistung innerhalb der Widerrufsfrist vollständig erbracht hätte, § 356 Abs. 4 Nr. 2 BGB.

Dass es sich bei den Leistungen der Paidwings AG um digitale Dienstleistungen handelt, lässt sich der eigenen Leistungsbeschreibung des Unternehmens entnehmen, die diese in den Nutzungsbedingungen vornimmt:

„Der Dienst ist eine Kommunikationsplattform, über die dem Usern unter anderem die Möglichkeit geboten wird sich selber im Internet zu präsentieren, um Interessenten für Partnerschaften, Freundschaften, One-Night-Stands oder Seitensprünge zu finden. Der Dienst bietet unter anderem Kontaktmöglichkeiten zu real existierenden, gleichgesinnten Frauen, Paaren und Männern die unter Umständen neue Partner kennen lernen möchten.“
[…]
„paidwings stellt sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige Dienste zur Verfügung.“

seitensprungtreff24.de – Nutzungsbedingungen, Abruf durch den Autor zuletzt am 29.03.2024

Die Paidwings AG wäre mit ihrer Zurückweisung des Widerrufs aber nur dann im Recht, wenn ihre Leistung in der Zurverfügungstellung digitaler Inhalte bestehen würde. Nur in diesem Fall wäre ein Ausschluss des Widerrufsrecht mit Beginn der Vertragserfüllung möglich. Dies ist ausweislich ihrer Nutzungsbedingungen nicht der Fall.

Hiernach konnte der Mandant seine auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung widerrufen und die Erstattung des bereits geleisteten Mitgliedsbeitrags verlangen. Da die Paidwings AG hierzu nicht bereit war, musste das Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder) mit der Sache befasst werden.

6. Widerruf unter Umständen auch nach einem Jahr möglich

Belehrt der Unternehmer den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht, so wird der Verbraucher durch § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB begünstigt. Nach dieser Vorschrift beginnt der Lauf der 14-tägigen Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB unterrichtet hat. § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB beschränkt die so eigentlich unendlich lang bestehende Widerrufsmöglichkeit allerdings auf 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss.

Artikel 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB sieht für die Belehrung i. S. v. § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB vor, dass der Unternehmer den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2 zu informieren hat. Auf Deutsch: Belehrt der Unternehmer den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht, so kann der Verbraucher den Vertrag bis zum 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss widerrufen.

Im Fall des Mandanten wurden dieser in einer E-Mail, in der die Paidwings ihm den Abschluss des Vertrages bestätigte, unter anderem wie folgt über sein Widerrufsrecht belehrt:

Wir werden auf Ihren ausdrücklichen Wunsch hin die Ausführung des kostenpflichtigen Vertrages vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnen, sofern Sie gleichzeitig zustimmen, dass dadurch Ihr Widerrufsrecht erlischt und uns bestätigen dass Ihnen dies bekannt ist.

Entnommen einer E-Mail der Paidwings AG vom 09.12.2023 betreffend seitensprungtreff24

Dieser Satz in der Widerrufsbelehrung führt dazu, dass die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß erteilt wurde. Denn die Paidwings AG klärte den Mandanten zu Unrecht darüber auf, dass sein Widerrufsrecht erlischt, sobald sie mit der Erfüllung des Vertrages beginnt und der Mandant dem ausdrücklich zugestimmt hat. Das Erlöschen des Widerrufsrechts mit Beginn der Vertragserfüllung ist aber nur im Fall digitaler Inhalte, nicht aber im Fall digitaler Dienstleistungen – wie sie von der Paidwings AG erbracht werden – möglich, vgl. § 356 Abs. 5 Nr. 2 und § 356 Abs. 4 Nr. 2 BGB. Damit war die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß und der Mandant hätte den Vertrag auch noch nach über einem Jahr widerrufen können.

7. Hinweise für Verbraucher

Verbrauchern, die sich auf einem Portal der Paidwings AG angemeldet haben, steht ein Widerrufsrecht zu, und zwar auch dann, wenn sie schon einen Teil der Leistung in Anspruch genommen haben, zum Beispiel, indem sie das Portal für kurze Zeit genutzt haben.

Ein Ausschluss des Widerrufsrechts mit der Begründung, ein Unternehmer habe bereits mit der Erfüllung des Vertrages begonnen, ist nur dann möglich, wenn es sich um einen Vertrag über die Lieferung digitaler Inhalte handelt, nicht aber bei digitalen Dienstleistungen, vgl. § 356 Abs. 4 und 5 BGB.

Das Widerrufsrecht besteht unter Umständen auch noch nach einem Jahr, nämlich dann, wenn die Paidwings AG nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt hat.

Für eine Klage deutscher Verbraucher gegen die in der Schweiz ansässige Paidwings AG sind die deutschen Gerichte zuständig und es findet deutsches Recht Anwendung.

  1. Die aufgelisteten Portale wurden vom Verfasser des Beitrags am 03.01.2024 überprüft und wiesen zu diesem Zeitpunkt die Paidwings AG im Impressum auf. ↩︎
  2. Vgl. https://www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/praktisches-wissen/kmu-betreiben/e-commerce/erstellung-e-commerce-site/die-gesetze-der-schweiz-und-der-eu.html ↩︎
  3. Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union. ↩︎
  4. Vgl. Erwägungsgrund 30 der Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union. ↩︎